Im ersten Abschnitt sprechen Zeitzeugen und Überlebende des Holocaust über Auschwitz. Henyrk Mandelbaum und Petr Grunfeld überleben das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Noach Flug ist in Auschwitz inhaftiert und überlebt in Mauthausen-Ebensee in Österreich.
Noach Flug, 2006 Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees und Repräsentant der ehemaligen Verfolgten und Auschwitz-Überlebenden, treffe ich an einem Vormittag im Dezember 2006 in Berlin. Er, seine Frau Dorata und ich sitzen zu dritt in ihrem Hotelzimmer. Herr Flug erzählt, dass Auschwitz für die Juden „ein Symbol der Vernichtung“ sei. Aus globaler Sicht stehe Auschwitz dafür, was passiere, wenn eine fanatische Gruppe an die Macht komme, sagt er. Er berichtet, wie er als junger Mann überlebt hat. Seine Schilderungen sind schlicht, kein Wort zu viel. An einer Stelle laufen seiner Frau und mir Tränen aus den Augen. Herr Flug, ganz Gentleman, neigt seinen Kopf etwas zur Seite. Ich kann ein Taschentuch suchen und mich sammeln. Dann spricht er weiter, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben.
Henryk Mandelbaum höre ich bei meinem ersten Aufenthalt im Juli 2006. Er hält einen Vortrag an „Meine lieben Leute“ über seine Zeit im Sonderkommando. Allen Zuhörern stockt der Atem, je mehr er von seiner Arbeit an und in den Gaskammern im Vernichtungslager Birkenau erzählt. Er ist der letzte polnische Zeitzeuge aus der Todeszone und ich bin dankbar für diese Begegnung. Er hat das Entsetzliche gesehen und erlebt und sagt, dass die jungen Deutschen daran „keine Schuld haben“. Während er am Ende seines Vortrags freundlich und lebendig ist, bemühen wir uns, die Fassung nicht zu verlieren. Im September 2006 treffen wir uns wieder. Wenn er vor oder nach seinen Vorträgen etwas Zeit hat, gehen wir manchmal über das Gelände der Internationalen Jugendbegegnungsstätte. Wir unterhalten uns darüber, wie man einen Garten pflegt und dass die EU-Äpfel auch nicht das Wahre seien. Auf dem Grundstück der IJBS stehen Apfelbäume mit alten Sorten. Herr Mandelbaum sammelt einige auf und schenkt sie mir. Er stirbt am 17. Juni 2008 nach einer Herzoperation.
Petr Grunfeld interviewe ich im März 2007 nach einem gemeinsamen Besuch in Auschwitz und Birkenau. Er ist als Zeitzeuge mit einer Schülergruppe aus Aschkalon nach Polen gereist, die von Shosh Hirshman begleitet wird. Am Mahnmal in Birkenau bittet er mich, sein Gedenklicht für seine Zwillingsschwester Marta anzuzünden. Am Abend sitzen wir zusammen und er erzählt, wie er als vierjähriger Junge Mitte Mai 1944 mit seiner Mutter und seiner Zwillingsschwester von Theresienstadt nach Birkenau gekommen ist. Die meiste Zeit schaut er auf den Tisch, wenn er spricht. Es scheint anstrengend für ihn zu sein. Er sagt, dass seine Erinnerungen verschwommen seien. Es hätte in Birkenau einen Zeitpunkt gegeben, ab dem könne er sich an nichts mehr erinnern. Das sei, so hätten ihm später Ärzte erklärt, eine Schutzreaktion von Kindern, wenn Erlebnisse zu schrecklich sind. Am Ende des Gesprächs schenkt er mir ein kleines Buch, in dem der frühere Knesset-Abgeordnete Yossi Sarid seine Geschichte aufgeschrieben hat. Herr Grunfeld signiert mit “Pepiczek”, ein Name aus Kindertagen. Seine Mutter hat ihn so genannt