"Die Kiste, die kannst du fast von hier sehen, wenn du an der
Treppe entlang nach oben schaust. Siehst du sie? Sie ist aus Aluminium und ich
kann zwanzig bis zweiundzwanzig Kilo reinpacken. Oben drauf kommt meine
Isomatte, und dazu nehme ich immer einen kleinen Rucksack mit.
Was die Kapazität der
Kiste angeht, bist du schon ganz schön reduziert. Vier Wochen: Da weiß man
ungefähr, wieviel man zum Leben und Anziehen braucht. Und es kommt darauf an,
in was für ein Land du fährst. Pakistan war ziemlich kalt. Da musste ich mehr
warme Sachen einpacken. Haiti war warm, und ich nahm Sommersachen mit. Es gibt ein
paar Lieblingsstücke, die nicht alt und schäbig sind, die kommen auch mit.
Sonst gucke ich, dass ich eher alte Klamotten einpacke und vor Ort verschleißen
kann." (...)
Haiti – Basiscamp I Im Basiscamp I des Roten Kreuzes am Rand von Port-au-Prince luden wir drei Frauen unsere paar Sachen aus dem Minibus und sicherten uns ein Plätzchen zum Übernachten. Unser Gepäck schoben die Delegierten aus Spanien gleich wieder beiseite – ein erstes Zeichen dafür, dass dieser Platz sehr schnell zu klein für all die Leute werden würde, die noch kommen sollten. Auf dem Platz stand eine Art Lagerhaus oder große Garage in U-Form mit einem Flachdach. Das Gebäude sah nicht besonders Vertrauen erweckend aus. Sein Vorteil war Schatten, den du auf dem Platz nicht hattest. Aber, und das ist wichtig: Wir waren in einem Erdbebengebiet, in dem schwere Nachbeben möglich sind. In Pakistan erlebte ich ein Nachbeben, als ich in einem Haus schlief, und das möchte ich nie wieder erleben. Ich wachte vom Schwanken auf und wusste im gleichen Moment: Wenn das Beben schlimmer gewesen wäre, hätte ich es nicht mehr rausgeschafft. Mit dieser Erfahrung kriegt mich niemand mehr unter ein Dach oder in die Nähe einer Mauer! (...)"
Die Patienten Die Adresse der Gesundheitsstation in Port-au-Prince war: „Delmas between 54 and 56 near Epi D´Or.“ Wenn wir das sagten, wussten alle, wohin sie zur Untersuchung und Behandlung kommen sollten. Bereits um acht Uhr morgens standen die ersten Patienten vor dem Tor und warteten. Viele von ihnen kamen von weit her und wollten vor der Dunkelheit wieder zu Hause sein. Gegen Mittag ebbte der Strom oftmals ab, und nach 15 Uhr registrierten wir, bis auf ein paar Einzelfälle, keine neuen Patienten mehr. Morgens nach dem Einlass notierten unsere Mitarbeiter in einem Buch Namen, Alter, Geschlecht und mit was für Beschwerden die Patienten zu uns kamen. Sie fragten zum Beispiel, ob die Verletzung vor oder beim Erdbeben entstanden war oder ob sie Durchfall oder Fieber hatten – Dinge, die später für die Statistik eine Rolle spielten. Jeder Patient bekam eine Art Ambulanzkarte und eine Nummer, durfte aufs Gelände und in das Wartezelt. Das war eine Art Pavillon, in dem wir die Kisten, in denen wir ursprünglich die Zeltstangen transportiert hatten,
Das mobile Team Im Zusammenhang mit meiner Abreise aus Deutschland erzählte ich dir, dass das DRK erstmals mobile Teams zu den Obdachlosencamps schickten wollte, um Überlebende direkt zu erreichen. Dafür fuhr möglichst täglich ein Team morgens im Landcruiser raus und hatte Verbandsmaterial und Medikamente dabei. Man kann dies mit einer Art ganz einfacher Hausarztversorgung vergleichen. In die Cité de Soleil, Haitis größtes und gefährlichstes Elendsviertel, ging keiner mobil rein. Das war Sperrgebiet für uns. Wir blieben am Rand, und die Leute kamen zu uns. Unter den Wartenden suchten wir zuerst die Patienten heraus, denen es besonders schlecht ging, versorgten sie und boten ihnen eine Weiterversorgung in der Gesundheitsstation an. Dort behandelten wir sie weiter oder überwiesen sie an das Krankenhaus in Carrefour. Die anderen betreuten wir medizinisch der Reihe nach. Ich erinnere mich an ein junges Mädchen, das ganz eindeutig eine kaputte Niere hatte. Sie war aufgedunsen, hatte einen fürchterlichen Blähbauch und Lid-Ödeme und kam sofort ins Krankenhaus, wobei ich nicht weiß, ob sie überlebte.(...)"